Unsere Forschung
Woran wird im Projekt Sprache zwischen Redundanz und Defizienz (SFB) geforscht?
Im Bereich der künstlichen Intelligenz wurde in den letzten Jahren signifikanter, auch in der Öffentlichkeit breit diskutierter, Fortschritt verzeichnet. ChatGPT beispielsweise scheint Sprache den Menschen sehr ähnlich zu verwenden. Angesichts dieser Entwicklungen drängt sich die Frage auf, was Menschen im Bereich der Kognition von Maschinen unterscheidet. Die traditionelle Definition des Menschen als das ‚sprechende Tier‘ geht auf Aristoteles zurück: Es ist also unsere Sprachfähigkeit, die uns von allen anderen Wesen unterscheidet und uns ermöglicht, komplexe soziale, kulturelle und politische Gebilde zu entwickeln. Doch im Zeitalter sprechender Maschinen müssen wir uns fragen, ob Sprache nach wie vor als einzigartiges Merkmal des Menschen gelten kann. Eine mögliche Antwort ist, dass die Art und Weise, wie KI der neuesten Generation Sprache handhabt, tatsächlich der menschlichen Sprachverarbeitung entspricht: Beide sind stochastische Systeme. Der Unterschied zwischen ihnen könnte bloß in der Stärke der Verbindung zu anderen kognitiven Bereichen wie der Wahrnehmung oder dem motorischen System—ein Bereich, in dem der Mensch gegenüber der KI klar im Vorteil ist.
Der SFB „Sprache zwischen Redundanz und Defizienz“ verfolgt eine andere Perspektive, die durch eine Fülle an Ergebnissen der formalgrammatischen Sprachforschung gestützt wird: Sprache ist in ihrem Kern ein symbolisch-regelbasiertes System, das einzigartig für die menschliche Kognition ist und der Logik sowie der Mathematik ähnelt. Syntax, der Kern der Grammatik, ist ein rein symbolisches System, wodurch sich menschliche Sprache fundamental von der „Sprache“ der KI unterscheidet. Die menschliche Sprachfähigkeit ist jedoch mit einem probabilistischen kognitiven System — einem System, das mehr von Erfahrungswerten und Wahrscheinlichkeitsmustern als von festen Regeln geleitet wird — verwoben. Dies erhöht ihre Anpassungsfähigkeit an kognitive, soziale, kulturelle und politische Kontexte. Die Einbettung der Sprache in das allgemeine kognitive System kann theoretisch durch flexible Regeln modelliert werden, die es sprachlichen Operationen ermöglichen, in Situationen zu funktionieren, die von ihren präzisen Definitionen abweichen, entweder durch einen Mangel an Information (Defizienz) oder durch einen Überschuss (Redundanz).
Aufbauend auf die bedeutende Tradition der formalen Linguistik in Österreich vereint der SFB Expertinnen und Experten der Universitäten Graz, Wien und Salzburg, die in enger Zusammenarbeit erforschen, wie das sprachliche System an seine kognitive Umgebung angepasst ist. Der Schwerpunkt liegt auf zwei Kernphänomenen der kontextabhängigen Verwendung von Sprache, nämlich Pronomina und Ellipse. Pronomina ermöglichen die Wiederverwendung bereits eingeführter Bedeutungen ohne explizite syntaktische Kodierung, während Ellipse die Wiederverwendung sprachlicher Formen – wie Laute, Schriftzeichen oder Gebärden – ohne tatsächliche Artikulation ermöglicht. Bei der Untersuchung dieser Phänomene setzt der SFB aktuelle Methoden der empirischen Linguistik ein, wie psycholinguistische Experimente oder Korpusstudien, aber auch mathematische Formalismen. Die im Rahmen des SFBs zu entwickelnde Theorie der Sprache zwischen Redundanz und Defizienz, in der symbolische und probabilistische Systeme harmonisiert werden, hat das Potenzial, bahnbrechende Perspektiven für die Kognitionswissenschaften zu eröffnen.